04.06.2024

Warum wir diese Gummistiefel-Auftritte von Ihnen nicht brauchen, Herr Scholz

Es war ein Paradebeispiel für ein geniales Wahlkampfmanöver. Als im August 2002 die Elbe und die Donau für ein Jahrhunderthochwasser sorgten, zog Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) demonstrativ die Gummistiefel an.

Kurzentschlossen reiste Schröder nach Sachsenstapfte durch den Schlamm und versprach in Grimma den Menschen ein Hilfspaket über 100 Millionen Euro. So inszenierte er sich als Kümmerer und vor allem als Macher.

Nicht wenige Wahlkampfbeobachter führten es auf Schröders Gummistiefel-Auftritt zurück, dass er die Bundestagswahl ein paar Wochen später knapp gewonnen hat. Allerdings half ihm auch sein Gegenkandidat Edmund Stoiber (CSU).

Der bayerische Ministerpräsident bleib nämlich zunächst seelenruhig im Urlaub. Bis er selbst das Hochwasser als Wahlkampfthema entdeckte und an die „Wasserfront“ reiste, war es viel zu spät.

Flutopfer fühlen sich instrumentalisiert

Bei Unglücken und Katastrophen neigen Politiker dazu, Mitgefühl zu zeigen. Dabei versteht sich von selbst, dass die Ministerpräsidenten betroffener Bundesländer und die für Katastrophenschutz zuständigen Innenminister sich vor Ort ein Bild machen.

Die aktuellen Überschwemmungen locken jedoch auch Bundespolitiker in die Katastrophengebiete. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tauchte vor kurzem im Saarland und jetzt in Bayern auf. Es war sein vierter Hochwasser-Einsatz in diesem Jahr.

Das Wasser aufhalten kann der Kanzler natürlich nicht. Ob seine Versicherung, die „akute Hilfe“ werden „im besten Sinne geschehen“, die um Hab und Gut gebrachten Menschen wirklich getröstet hat, darf bezweifelt werden. Manche Flutopfer fühlen sich eher instrumentalisiert.

Besucher können vor Ort nichts konkret bewirken

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reiste ebenfalls ins oberbayerische Hochwassergebiet. Dort verkündete er in Reichertshofen, die Nachricht vom Tod eines Feuerwehrmanns habe ihn „aus den Gummistiefeln“ gehauen. Da kann man nur hoffen, dass er ein Ersatzpaar zur Hand hatte.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, sich in Bayern zu zeigen. Allerdings konnte auch sie konkret nichts bewirken.

Wenn Politiker sich dort zeigen, wo Menschen unter Hochwasser oder anderen Katastrophen zu leiden haben, sind sie nicht nur an Informationen aus erster Hand interessiert. Sie wollen auch Mitgefühl und Betroffenheit demonstrieren.

Freilich darf nicht unterschätzt werden, dass gerade die vielen freiwilligen Helfer durch „hohen Besuch“ Anerkennung erfahren. Dies dürfte manchen dieser Idealisten zusätzlich motivieren.

Schmaler Grat zwischen Respekt zollen und Katastrophentourismus

Allerdings ist jeder Aufmarsch politischer Prominenz mit entsprechendem Aufwand verbunden. In der Zeit, in der Katastrophenhelfer und Feuerwehrleute sich um Politiker kümmern und für Kameras posieren müssen, bleiben andere Aufgaben unerledigt.

Zwischen den Bemühungen, sich ein unmittelbares Bild von der Lage zu verschaffen sowie den Einsatzkräften Respekt zu zollen, und einem Katastrophentourismus verläuft ein schmaler Grat.

Die Versuchung von Politikern, sich als Retter in der Not zu präsentieren, ist groß. Sie sollten sich aber nichts vormachen: Die Bürger spüren sehr wohl, wo die echte Sorge endet und die billige Polit-Show beginnt.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 4. Juni 2024)


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